Eine Pflicht zur Immunisierung war in Arendsee bereits vor über 100 Jahren Thema. Und es gab Gegner.

Von Eckehard Schwarz Quelle: VOLKSSTIMME

Der Arendseer Wanderprediger Gustav Nagel mit seinen Kindern. Gottfried (rechts) wurde 1916 zwangsweise geimpft. 
Foto: Archiv Eckehard Schwarz VOLKSSTIMME

Arendsee – Die Corona-Impfpflicht für bestimmte Berufe polarisiert weiterhin. Dieses Thema beschäftigte grundsätzlich bereits andere Generationen. So gab es vor über 100 Jahren schon einmal einen Impfzwang in Deutschland. Aber natürlich nicht wegen Corona. Volkskrankheiten wie zum Beispiel Pocken, Diphtherie oder Tuberkulose standen im Blickpunkt. Und dies brachte Gegner auf den Plan. Einer davon lebte in Arendsee.

Bereits 1874 wurde unter Reichskanzler Otto von Bismarck ein „Reichsimpfgesetz“ verabschiedet, um die grassierende Pockenepidemie im Land einzudämmen. Damals wurden Eltern verpflichtet, ihre Kinder im Alter zwischen einem und zwölf Jahren gegen Pocken immunisieren zu lassen. Wer sich dieser Pflicht entzog, wurde mit Geld- und sogar Haftstrafe bedroht.

In diesem Zusammenhang passt eine Meldung aus dem Arendseer Wochenblatt vom 31. Oktober 1916, die anschaulich zeigt, wie diese Impfpflicht auch durchgesetzt wurde. Dabei ging es um die Familie des Arendseer Naturapostels und Wanderprediger Gustav Nagel. Unter der Überschrift „Wieder das Gesetz“ ist zu lesen, wie sein am 26. Februar 1913 geborener Sohn Gottfried geimpft wurde.

Ohne Schuhe zum impfen

„Zwangsmaßregeln mußten vorige Woche gegen gustaf nagel angewendet werden, weil er sich fortgesetzt geweigert hat, seinen jetzt 4jährigen Sohn impfen zu lassen. Am Donnerstag war nun die Impfung endgültig angeordnet worden“, hieß es damals. Der Bericht geht noch weiter und beschreibt die Skepsis des Naturapostels: „Herr Nagel und Frau waren aber nicht zu bewegen, das Kind zur Impfung zu stellen. Die beiden entsandten Beamten führten deshalb den Impfgegner Nagel ins Gefängnis und das Söhnchen zum Arzt. Letzteres wurde sogar liebevoll auf dem Arm hin- und zurückgetragen, da weder seine Schuhe noch Pantoffeln aufzutreiben waren. Nach etwa einer Stunde war die Familie wieder in ihrem Heim am See vereinigt.“

Schon damals gab es große Proteste und Eingaben gegen die Impfpflicht. Unter anderem waren diese 1919 im „Reichsverband zur Bekämpfung der Impfung“ organisiert. Natürlich war der Lebensreformer Gustav Nagel ein vehementer Gegner von jeglichen Impfungen und der Medizinheilkunde.

Als Beispiel für seine Einstellung zu dieser Frage hier ein kleiner Auszug aus dem Buch „der Mensch und seine Bildung“ zu diesem Thema, das im Jahr 1922 erschien. „Hinweg mit dieser heidnischen medizinischen Staatsvorderfront, gebt Gott und der Natur die Ehre; ist denn überhaupt solch ein einseitiger mit gezücktem Schwert gehandhabter Krankenkassenzwang in einem gebildeten Volke berechtigt? nein und abermals nein“. Gustav Nagel, der auch als Rechtschreibreformer galt, formulierte dies in seiner eigenen Schreibweise. Und in seinem im Januar 1929 erscheinenden Programm der von ihm gegründeten Deutsch- christlichen (Mittelstands-) Volkspartei wird er noch deutlicher und fordert: „Darum verlangen wir Loslösung der Heilkunde vom Staat, gleiches Heilrecht für alle. Verlangen Gewissensfreiheit auch beim Impfzwang.“

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