Der Arendseer Wanderprediger und Tempelwächter wäre am 28. März 2024 150 Jahre alt geworden. In der Stadt erinnern noch mehrere Objekte an ihn, die auch Touristen locken. Über sein Erbe wird an dieser Stelle in mehreren Folgen berichtet (Teil 2).

VON ECKEHARD SCHWARZ

#ARENDSEE. Nagels Seetempel wurde in einem Artikel der Zeitung „Der Leipziger“ in „Bei gustaf nagel“ aus dem Herbst 1919 wie folgt beschrieben: „Unten ist es eine Art Grotte, deren Dach wieder auf den kurzen, aus gerautem Stein gefügten Säulen ruht, die er zu lieben scheint. Die Grotte hat allerlei Nischen mystischer Bedeutung, in einer gewahrte ich etwas wie einen Altar, auch dem strebten die langen spitzen Blätter der Iris wie züngelnde Flammen empor, auf einer anderen Stelle scheinen mir trockene Halme und Früchte zu liegen und neben der Grotte führten ein paar Stufen empor auf ihr Dach, das eine Art Plattform bildete. Auf den Spitzen der Ecksäulen, die die Plattform überragen, wimpelten lustig kleine weiße Fähnchen“.

Der Aufbau des Seetempels war nach der vorgenannten Beschreibung in der Leipziger Zeitung im September 1919 noch nicht fertig. Er wurde in Holz, teilweise später bespannt und verputzt, erst 1920/21 fertiggestellt.

Einfache Materialien

Im Bericht wurden weiterhin sein großes Wanderzelt, der Bootsanlegesteg sowie zwei mannshohe Steinsäulen erwähnt, deren vasenartige Schalen keine Blumen, sondern verschiedenfarbige bunte Glaskugeln trugen. Eine spätere Beschreibung des Seetempels ist ebenfalls sehr interessant: „Auf einem ,Altar der Liebe‘ stand ein weißes Kreuz, zu dem von unten Flammen schlugen. Ein Bismarckkopf an der Wand sollte das gottesfürchtige Nationalideal verkörpern. Zudem gehörten unter anderem 20 wohlklingende Glocken von Kuhherden zur Ausstattung. Ein Fries befand sich ebenfalls an der Wand. Das Ornament bestand aus Kronen mit weißen Flügeln und Kreisen. Der Tempel ruhte auf den sieben Säulen der Weisheit‘. Dabei handelt es sich unter anderem um: Glaube, Liebe und Hoffnung, Deutschtum, vaterländische Gesinnung und die Wissenschaft. Eine der Wände war bemalt mit einer Vision, die Nagel wie folgt beschrieb: „Ich sah die Himmelsleiter, an deren obersten Ende ich aus blauem Himmel einen goldenen Fingerreif sah, und Gott hat mir zu dieser verheißenden neuen Ehe eine Jungfrau aus Arendsee bestimmt.“

Die Reste des Seetempel im Jahr 1960. REPRO: ECKEHARD SCHWARZ

Die Materialien, die Gustav Nagel für die einzelnen Bauten verwendet, waren sehr einfach. So wurde ein Großteil seiner Säulen, Figuren und Dächer, die er selbst fertigte, zum Beispiel mit Mauerwerksschutt oder Schlacke als Füllstoff hergestellt. Diese wurden mit einem leichten Drahtgeflecht ummantelt und danach mit Beton ausgegossen. Nach dem Abbinden wurde die Säulenoberfläche mit einem rauen Spritzbewurf oder in Löffelstruktur aus einem Zementgemisch hergestellt.

Obwohl fast alle Bauten im Garten aus Geldmangel, aber auch aus Freude am Bauen und Gestalten, von Gustav Nagel selbst mit hergestellt wurden und oft an eine Art „Kleckerburg-Architektur„ erinnerten, umgab das Gartenensemble am Arendsee schon bald, besonders in den Sommermonaten, ein unverwechselbarer Reiz. Dieser wurde zu einem oft unvergesslichen Erlebnis für jährlich mehrere tausend Besucher.

Gustav Nagel und sein Garten waren der Anziehungspunkt in Arendsee. Allein vom 15. April bis zum 30. September 1929 verkaufte er angeblich über 11.000 Eintrittskarten. Dies war besonders bemerkenswert, da Nagel in keinem offiziell von der Stadt oder dem Fremdenverkehrsverein herausgegebenen Wanderführer erwähnt wurde.

Nach der Fertigstellung des Seetempels, im Jahre 1920, fügte er seiner Eigenbezeichnung „Wanderprediger“ noch den Zusatz „Tempelwächter“ hinzu. Um 1920 entstanden weiterhin noch zwei kleine Anbauten am Nordgiebel seiner Wohnbaracke, dicht neben dem Harmoniumhäuschen. Anzumerken ist, dass diese Wohnunterkunft am 10. Oktober 1945 bei einem Brand weitgehend vernichtet wurde.

Im Juli 1930 endete Nagels aktive Bautätigkeit mit der Errichtung der Kurhalle auf seinem Land. Dieser letzte große Bau des Wanderpredigers unterschied sich erheblich von den Vorhergehenden. Erstmals nutzte er sein oberhalb des Seegrundstücks im Wendfeld gelegenen Garten zum Bauen. Dadurch erweiterte er seine Sehenswürdigkeiten und schaffte Platz für Besucher, die hier ausruhen und entspannen sollten. Den neu entstandenen Säulenhallenkunstbau nutzte er vorwiegend zum Verkauf seiner selbst hergestellten Getränke.

Eine Petition mit Wirkung

Da er immer wieder Schwierigkeiten mit der Baupolizei hatte, reicht er am 30. September 1929 eine detaillierte Bauzeichnung ein. Danach wollte er auf dem Wendfeld einen dreizehnseitigen Bau mit gewölbter Kuppel und Rundbogenfenstern errichten. Älter geworden, errichtete er diesen heute noch am besten erhaltenen Bau nicht mehr komplett selbst, sondern ließ sich 1929/30 vom Arendseer Maurermeister Helmut Kaske helfen. Er begann jedoch wieder ohne Erlaubnis mit dem unterkellerten Bau bis zu den Ecksäulen.

Als im August 1928 ein Baustopp für die Kurhalle verhängt wurde, gelang es ihm, 114 Arendseer Bürger für eine Petition gegen die Anordnung zu gewinnen. Im Arendseer Wochenblatt vom 11. August 1928 ist über diese Versammlung zu lesen: „Unser Wanderprediger und Tempelwächter hatte die Einwohner zu gestern Abend nach seinen Acker hinter dem Wendfeld eingeladen, um öffentlich für seinen Kurhausbau zu werben. Nach seinen Ausführungen scheitert hauptsächlich sein Projekt daran, daß ihm die Behörden den Weg hinter den Gärten der Breitenstraße nicht freigeben wollen. Der Gedanke der von Herrn Nagel gepredigten Naturheilkunde ist nicht schlecht und schon tausendfach erprobt. Es handelt sich aber darum, erst einmal nachzuweisen, daß auch der Bau finanziert ist.

Es fehlte nicht an Anregungen und Meinungsäußerungen aus der etwa 100-köpfigen Versammlung. Anerkannt wurde auch, daß Arendsee einen noch größeren Fremdenstrom haben würde, wenn Herr Nagel nach seinen Willen bauen könnte. Aber wie gesagt, die finanzielle Seite des Projektes muß erst geklärt werden. Neu dürfte sein, daß Herr Nagel den Bau unter Umständen an der Zießauer Seite ausführen wird. Aber Herr Nagel fühlt sich noch jung und will weiter kämpfen“.

Wohnhaus blieb ein Traum

Auch in seinem Programm der deutsch-christlichen Volkspartei, das Gustav Nagel im Januar 1929 veröffentlichte, ging er überraschender Weise auf sein Bauvorhaben ein: „… sondern ist es auch gegen Gottes Vaterwillen, wenn man einem Menschen die Freiheit zum Bauen auf eigenen Grundstück nimmt; so verweigert man mir schon seit Jahren im Anschluß an meinem Tempel am Arendsee, auf eigenen Boden mit 3,50 Meter breitem Zufahrtsweg immer wieder den Bau eines Wohnhauses, in letzter Zeit sogar hartnäckig den Bau eines Wohn- und Pensionshauses, während sich ein Doktor der Medizin schon hintereinander das vierte herrschaftliche Haus bauen durfte; alle meine Beschwerden, selbst bis zum Reichspräsidenten von Hindenburg blieben erfolglos. 156 Hausbesitzer von Arendsee hatten durch Unterschrift diesen ihnen sympathischen Bau gewünscht; wie auch ein Arendseer Tischlermeister fragte: Herr Nagel, wann beginnt Ihr Bau? Wir brauchen Arbeit und ein Wittenberger Oberkellner ausrief, Herr Nagel, es ist eine große Torheit, daß man Ihnen die Baugenehmigung vorenthält, Ihr Kurhaus hebt den ganzen Fremdenverkehr, wo Sie weltbekannt sind….“

Nagels Bemühungen beim Magistrat von Arendsee hatten Erfolg und so konnte er stolz am 4. Juni 1930 seine Kurhalle fertigstellen und zur baupolizeilichen Abnahme und Einweihung am 28. Juni 1930 einladen. Dieser Bau kommt seinen, während seiner Jerusalem Wanderung gesehen Bauten in der Türkei und auf dem Balkan, mit seiner gewölbten Dachform und aufgesetztem Stern sehr nahe. 1931/1932 reicht Gustav Nagel weiterhin die Genehmigung zum Bau eines massiven Wohnhauses, 7,50 mal 5 Meter, mit Außentreppe und ausgebautem Dachgeschoss, das er anstelle der Wohnbaracke errichtet wollte, ein. Dieses wurde aus Geldmangel und fehlender Baugenehmigung nicht errichtet, ebenso ein großer Backofen mit Trockenraum im Jahre 1924.

Translate »

Pin It on Pinterest

Share This
Consent Management Platform von Real Cookie Banner