Der Arendseer Wanderprediger wäre 2024 150 Jahre alt geworden. In der Stadt erinnern noch mehrere Objekte an ihn, die früher und auch heute noch Touristen lockten und locken. Über sein Erbe wird an dieser Stelle in mehreren Folgen berichtet (Teil 1).

VON ECKEHARD SCHWARZ

#ARENDSEE. Am 28. März 2024 wäre Karl Gustav Adolf Nagel aus Arendsee, der bekannte Wanderprediger und Tempelwächter, wie er sich selbst nannte, 150 Jahre alt geworden. Bis heute haben er und sein Grundstück kaum etwas an Anziehungskraft verloren. Seine Idealwelt und seine Gedanken spiegeln sich in dem am 10. Juli 1910 eingeweihten sogenannten „Paradiesgarten – Garten Eden“ am Ufer des Arendsees mit all seinen sonderbaren Bauten deutlich wieder.

Gustav Nagel weiht seinen Garten am 10. Juli 1910 feierlich ein. Auf dieser Postkarte ist er gemeinsam mit jungen Mädchen am Seemannsgrab zu sehen. REPRO: ECKEHARD SCHWARZ

Neben seinem sehr personenbezogenen Glauben an Gott war die zweite Triebkraft im Leben Nagels seine Idee vom naturnahen und gesunden Leben. Hierbei hatte er in anderen Lebensreformern Vorbilder. Er kopierte sie nicht, jedoch ihre Gedanken und Lehren übernahm er teilweise und entwickelte diese weiter. Ein Bewegpunkt war dabei sicherlich die Dankbarkeit über die Heilung seiner körperlichen Leiden, die er neben den Lehren der Naturheilkundler auch auf Gottes Willen und Gnade zurückführte.

Um 1904 wollte Nagel ein Sonnen- und Brausebades mit Freiluftkultur und naturnaher Heilung in der Nähe des Arendseer Lindenparks aufbauen. Dieser Versuch scheiterte. Er zeugt aber davon, wie sehr er von den Lehren der Menschen auf dem „Berg der Wahrheit“, dem Monte Verita bei Ascona (Schweiz), vom Vater der volkstümlichen Naturheilkunde Friedrich Eduard Bilz, den er in Dresden kennenlernte, und den Lehren Kneipps in Wörishofen beeinflusst wurde.

Ruinenkauf scheiterte

Neben seinen Berichten über die Reise nach Jerusalem im Jahre 1902/03 ist sein am 10. Juli 1910 eingeweihter Garten heute noch am bekanntesten. Um 1910 war Gustaf Nagel, wie er sich in seiner eigenen Orthografie schrieb, bereits so bekannt, dass er durch den Verkauf seiner Bücher und Postkarten sowie den Erlös aus seinen immer sehr gut besuchten Vorträgen zu etwas Wohlstand gekommen war. Zuerst war es Nagels Wunsch, mit dem Geld die Klosterruine zu erwerben, um sich dort eine Heimstätte zu errichten. Der wurde aus verständlichen Gründen am 14. Juli 1910 vom Magistrat der Stadt abgelehnt.

Wenig später erwarb Nagel ein Grundstück von 0,38 Hektar Größe am Ufer des Arendsees, das, getrennt durch die Seepromenade, zu einem zweiten etwas höher am Wendlandweg gelegenen Teil gehört. Der Kaufpreis soll beachtliche 10.000 Mark betragen haben. Dieses Stück Land wurde der familiäre Lebensmittelpunkt und das geistige Spiegelbild seiner Lehren.

Zur Eröffnung am 10. Juli 1910 hielt er einen Vortrag auf dem Seegrundstück und ließ sich mit jungen Mädchen fotografieren, als Motiv für eine Postkarte. Auf dieser ist bereits das fertiggestellte, zentral am Gartenweg gelegene und sich auf die christlichen Tugenden beziehende sogenannte Seemannsgrab, das „Glaube, Liebe, Hoffnung“-Denkmal mit einem hölzernen Kreuz und begrenzt von einem niedrigen Birkenzaun, zu sehen. Auf dem Kreuz war in seiner eigenen Orthografie zu lesen: „Lasset uns in liben den er hat uns zuerst gelibt. zur heilung, erquikung und jesusgewinung!“

Später entstanden der Bootssteg mit Taufbecken (1911), die Jesusplastik (1911/12) und die Gedenknische für Mutter Luise (1912). Das Schwanenhaus mit Steg folgte um 1912/13, später das Kassiererhäuschen (1913), alles selbst gebaut und ohne irgendeine Genehmigung.

1912 und 1913 verfügte Gustav Nagel noch über ausreichend finanzielle Mittel, denn er reicht beim Magistrat der Stadt Arendsee Baupläne für ein Gartenhaus ein, das vom Architekten Rabe aus Frankfurt am Main im Landhausstill entworfen wurde. Dieses Projekt wurde jedoch, wie so viele andere Bauvorschläge von ihm, von der Baupolizei abgelehnt.

Gustav Nagel wohnte zu dieser Zeit in den Sommermonaten in seinem großen Wanderzelt beziehungsweise in seiner Wohnung in der Toebelmannstraße 19. Daher baute er sich auf dem Seegrundstück eine hölzerne 7,70 mal 5,80 Meter große Wohnbaracke. Sie wurde das spartanische Zuhause für die ganze Familie und war als einziger Teil des Gartens für Besucher nicht frei zugänglich.

Um seiner Familie ein besseres und vor allem winterfestes Heim zu geben, ließ er sich 1916, entgegen seiner eigentlich sehr spartanischen Lebensweise, ein unterkellertes, zweigeschossiges Gebäude mit Turmanbau planen, das eine Grundfläche von 11,18 mal 5,90 Meter haben sollte. Der Turmbau sollte die Maße von 3,40 mal 3,40 Meter bei 12,55 Meter Höhe bekommen. Das Haus im neogotischen Still mit Zinnen wurde von Maurermeister Haverland eingereicht und sollte auch von ihm gebaut werden.

Ein Stein der Verärgerung

Der Plan wurde am 12. April 1916 der Behörde vorgelegt. Der Bau sollte im Gegensatz zum Gartenhaus auf dem höher gelegenen Grundstück im Wendfeld entstehen. Er wurde jedoch ebenfalls mit der Begründung abgelehnt, dass dort noch keine Baufluchtlinie besteht und auch das Gelände nicht freigegeben war. Verärgert über das wiederholte Scheitern seiner Bauanträge, errichtete Nagel links am Weg, neben der Treppe, die vom Wendfeld zur Promenade führte, seinen „Eckstein“. Wie er bei Führungen immer wieder bekundete, sollen sich seine Gegner beim Gang zum See daran stoßen. Weiterhin stellte er daneben ein Steinkreuz mit der Inschrift „in disem zeichen wirst du sigen“ auf.

Ein Wohnhaus wollte Gustav Nagel auch 1931 auf seinem Seegrundstück anstelle seiner Wohnbaracke errichten. Es sollte massiv auf einer Grundfläche von 7,50 mal 5 Metern gebaut werden, mit ausgebautem Dachgeschoss, über eine Außentreppe zu erreichen. Es sollte 6,30 Meter hoch werden und das Projekt wurde am 3. Juli 1932 von Mauermeister Ludwig Krüger eingereicht, jedoch ebenfalls abgelehnt und nicht genehmigt.

Bereits im Herbst 1913 begann Nagel mit der Errichtung seines wohl bekanntesten Bauwerks, des Seetempels – noch heute zu erkennen an einem Terrazzo-Stern im Tempelboden. Hierzu reicht er, wie auch bei allen anderen Bauten auf seinem Seegrundstück, keinen Antrag ein. Die Bauten seien ihm von Gott vorgegeben, begründete er gegenüber den Behörden. Nach eigenen Angaben floss in den Bau „seine ganze Reiseerfahrung bis zum feinsten Tempel-Mosaikbaukunst Deutschlands, Italiens, Ägyptens mit seinen Pyramiden, Jerusalems und Konstantinopels“ ein.

Die Vertreter der Stadt waren über seine Art und vor allem über die fortlaufende Missachtung ihrer Beschlüsse jedoch verärgert. Da er immer wieder vorzeitig ohne Genehmigung größere Projekte begann, wurden gegen Nagel nun Sanktionen, vom Baustopp bis hin zur Beschlagnahme seiner Materialien, ausgesprochen.

Bedingt durch den Ersten Weltkrieg wurden seine finanziellen Mittel immer weniger, da ihm zusätzlich auch noch sein Wandergewerbeschein verwehrt wurde. Damit entfiel ein Großteil seiner Einnahmen, denn es war ihm nur noch bedingt möglich, über seine Vorträge und den Verkauf von Ansichtskarten und Büchern Einkünfte zu bekommen. Weiterhin wurde er 1915, wenn auch nur für kurze Zeit, zum Militär eingezogen und erkrankte längere Zeit. 1917 wurde ihm zusätzlich ein umfassender Baustopp auferlegt.

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